Meine Arbeit

Eine kleine Auswahl meiner Texte aus bz und BaZ. Bis jetzt hatte ich es mit verrückten Seebären, einem ungarischen Geschichtsverdreher, veganen Studenten sowie lärmig-rumpelnden Trams zu tun - Aufzählung unvollständig.
Der freundliche Fährimaa, der beim Sterben hilft

Der freundliche Fährimaa, der beim Sterben hilft

Mittwoch, August 27, 2025

Philipp Schenker begleitet Menschen ans andere Ufer. Mal tut er das als Fährimaa am Rheinknie in Basel, mal beim Sterben. Denn Schenker arbeitet auch als Sterbebegleiter bei Exit.

Ein Fährimaa, der Sterbende begleitet? Unwillkürlich muss man an Charon, den Fährmann aus der griechischen Mythologie, denken. Für einen Obolus bringt er die Toten über den Fluss Styx in die Unterwelt, den Hades.

Die Überfahrt bei Schenker kostet zwar auch eine Kleinigkeit – zwei Franken. Doch ferner vom düsteren und grimmigen Gesellen Charon, der seine Arbeit nur ungern tut, könnte Schenker nicht sein. «Ich bin nicht Charon», sagt er, «der ist wie ein Hauswart alter Schule. Ich bin ein Netter.» 

(Und fürs Protokoll: Selbstverständlich sind die Passagiere noch lebendig, wenn sie am anderen Rheinufer ankommen.) 

Philipp Schenker am Steg auf der Fähre. Im Hintergrund die Roche-Türme.

Der Rhein bietet auch keine so düstere Szenerie wie der Styx. Schenker sagt, der Fluss sei eine Art Zwischenwelt, in dem die Leute für einen Moment den Alltag vergessen. Er hat Recht. 

Das Wasser beruhigt die Nerven. Die Wellen plätschern träge an die Fähre, selbst an diesem grauen und regnerischen Tag. Die Aussicht tut das Ihre. Von der St. Alban-Fähre (oder «Dalbe-Fähre» auf Baseldytsch) hat man beste Sicht auf die wuchtigen Roche-Türme; am anderen Ufer befinden sich die Papiermühle und das Museum für Gegenwartskunst. Weiter nördlich erhebt sich die Altstadt mit der Münsterpfalz.

Dunkle Wolken über der St. Alban-Fähre - am anderen Ufer die Roche-Türme.

Und Schenker ist so etwas wie der Inbegriff eines feinen Kerls. Er ist gross, breit und hat tellergrosse Hände – ein ehemaliger Fussballgoalie, der es bis in die Nati B schaffte – und hat doch so gar nichts Bedrohliches. Bei der Begrüssung hält er einem leicht nervösen Fahrgast väterlich seine Bärentatze auf die Schulter. Man fühlt sich wohl bei diesem Fährimaa.

Für die Passagiere ist Schenker eine kurze, aber erfreuliche Begegnung. Wenn die Fähre anlegt, hat er schon eine launische Bemerkung auf den Lippen. Schnell kommt man ins Gespräch: Das schlechte Wetter, die weissen Schuhe einer Passagierin, die Frage, woher man komme. Schenker macht Witzchen, die Passagiere lachen. Der Kontakt mit den Menschen sei das Beste an seinem Beruf, sagt der Fährmann. «Die Passagiere sollen Spass haben, wenn sie hier sind.»

Die Welt scheint auf der Fähre noch in Ordnung. Selbst bei diesem Hudelwetter.

Nicht nur Golf im dritten Lebensabschnitt

Als Schenker vor vier Jahren mit 60 frühpensioniert wurde, wollte er etwas Sinnvolles tun. Lange war er als Manager bei verschiedenen Unternehmen tätig, arbeitete viel, war viel unterwegs – auf Geschäftsreisen verschlug es ihn bis nach China.

Einfach nur Golf spielen (tatsächlich eines seiner Hobbys) oder auf Reisen gehen, das passte ihm nicht. Und im Kontrast zu seinem Berufsleben wollte er etwas tun, «bei dem es nicht einfach um Zahlen geht, sondern echte menschliche Wertschätzung im Vordergrund steht.» Er findet den Ausdruck «schwülstig», aber ja, er wolle und könne etwas zurückgeben.

Dass er dann Fährimaa wurde, hat sich so ergeben – er blickte beim Spazieren auf die Fähren auf dem Rhein, und dachte, das wäre doch etwas. Etwa zur gleichen Zeit bewarb er sich als Sterbebegleiter. Beide Tätigkeiten führt er ehrenamtlich aus.

Hier Leichtigkeit, dort Schwere

Die Unbeschwertheit auf der Fähre ist ein starker Kontrast zur Ernsthaftigkeit der Sterbebegleitung. Und doch gebe es Gemeinsamkeiten, sagt Schenker. «Bei beiden Tätigkeiten braucht es Präsenz, Achtsamkeit und Empathie. Die Menschen müssen mir Vertrauen.» In beiden Fällen gehe es letztlich um eine sichere Überfahrt.

Bei Exit begleitet Schenker Menschen in ihren letzten Momenten, Menschen, die schwer erkrankt sind und schon längere Zeit leiden. Der Leidensdruck ist gross, der Sterbewunsch meistens deutlich.

Keine einfache Aufgabe, doch etwas, dass Schenker gerne tut. «Wir folgen dem Willen einer Person, die bei klarem Bewusstsein ist und leidet», sagt er. Was es brauche, sei Sanftmut, Verständnis und Empathie.

Der Rhein, wie jeder Fluss Symbol des Übergangs.

Er ist selbst Mitglied bei Exit - aus einer persönlichen Erfahrung heraus. Sein Vater litt an Demenz und wurde vor seinem Tod für einige Zeit in der geriatrischen Psychiatrie behandelt. Dort sah Schenker sedierte Alte in Rollstühlen, ein Anblick, der ihm nicht aus dem Kopf ging. Wenn es ans Sterben geht, dann selbstbestimmt, war für ihn klar. 

Das Prozedere kennt Schenker inzwischen bestens. Erst führt er ein Gespräch mit den Sterbewilligen. «Das Wichtigste ist, dass die Menschen urteilsfähig sind.» Dann richtet sich alles nach dem Tempo der sterbewilligen Person. Bis manche Menschen aus dem Leben scheiden, geht es nur eine Woche, bei anderen dauert es Monate. Schenker hat beides schon erlebt.

Bricht der letzte Tag an, vergewissert sich Schenker, dass der Sterbewunsch immer noch klar und fest ist. Dann wird Abschied genommen. Häufig versammeln sich die Angehörigen für das letzte Geleit. Aus dem Leben scheidet die sterbewillige Person, indem sie Schlafmittel nimmt.

Die letzten Momente

Doch bevor es so weit ist, versichern sich die Angehörigen und Freunde der Person ihrer Liebe und Wertschätzung, bedanken sich für den Weg, den sie gemeinsam gegangen sind. «Das ist jedes Mal berührend», erzählt Schenker. Manchmal herrscht aber auch einfach Schweigen. Dann versucht er, das Gespräch in Gang zu bringen. «Am schlimmsten ist es, wenn Stille herrscht.»

Makaber sei so eine Situation nicht, sagt er. Und allzu nahe lässt er die Erlebnisse nicht an sich heran. Schenker hat einen pragmatischen Umgang mit dem Sterben. «Manchmal wird es natürlich emotional, besonders bei jüngeren Menschen. Doch in der Regel sind die Sterbewilligen alt, haben ihr Leben gelebt. Sie gehen, weil sie gehen wollen.»

In einem gewissen Sinn hat auch Schenker sein Leben gelebt. Er muss niemandem mehr etwas Beweisen. Sein Berufsleben war ereignisreich, auch im Privaten hat er vieles gesehen. Er ist geschieden, hat zwei inzwischen erwachsene Kinder, lebt mit seiner jetzigen Partnerin in einer Patchwork-Situation, die «bestens funktioniert.» Und nun ist er eben Fährimaa und Sterbebegleiter, zwei Tätigkeiten, die ihn "enorm bereichnern", wie er sagt.

Und wieder taucht der Gedanke an Charon, den Fährmann auf. Ist da nicht etwas dran?

«Die Metapher vom Fluss als Übergang von Leben und Tod ist faszinierend», sagt Schenker milde. «Aber wie gesagt: Ich bin ein Netter.»

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