Meine Arbeit

Eine kleine Auswahl meiner Texte aus bz und BaZ. Bis jetzt hatte ich es mit verrückten Seebären, einem ungarischen Geschichtsverdreher, veganen Studenten sowie lärmig-rumpelnden Trams zu tun - Aufzählung unvollständig.
Drei junge Baselbieter wollen von Norwegen nach Grönland segeln – mit einem Floss

Drei junge Baselbieter wollen von Norwegen nach Grönland segeln – mit einem Floss

Montag, Oktober 14, 2024 Nordatlantik Grönland bz Basel

Drei Studenten, ein antikes Floss und die raue See: Was treibt sie auf eine Reise, auf der Kälte und Erschöpfung ständige Begleiter sind?

Das Leben in unserer modernen Gesellschaft ist von der Geburt bis zum Tod durchgetaktet: Schule, Lehre oder Studium, danach Berufsleben. Vielleicht gibt es noch ein paar Beziehungen oder gar Kinder. Nach der Pensionierung «geniesst man das Leben»: Ein paar Reisen, ein paar Mal gut essen – und dann liegt man schon im Sterbebett. Und denkt sich: «War nicht schlecht, aber irgendwie vorhersehbar.» Und klopft bei Petrus an.

Vielleicht ist das die tiefere Ursache dafür, warum drei junge Baselbieter mit einem selbst gebauten präkolumbischen Floss von Norwegen nach Grönland segeln wollen – via Färöer-Inseln und Island. Ein Segeltörn übers raue Nordmeer, wo es kalt, regnerisch und windig ist. Wo hohe Wellen und gar Stürme zu erwarten sind, wo rund um Grönland Packeis wartet. Wo Buckelwale und Orcas zur Fauna gehören.

Die drei Seefahrer, das sind Noe Schnyder (24), Nicola Nussbaumer (25) und Leon Behrens (25). Schnyder ist in Duggingen, Nussbaumer in Nenzlingen, Behrens in Ormalingen aufgewachsen. Schnyder studiert Geschichte und Germanistik an der Uni Basel, Nussbaumer ist ETH-Architekturstudent und Behrens befindet sich im Physik-Studium, ebenfalls in Basel.

Auf den Spuren Thor Heyerdahls

Sie wollen in einem Floss ähnlich der legendären Kon-Tiki die Überfahrt wagen. Kon-Tiki war das Floss, auf dem 1947 der Norweger Thor Heyerdahl von Peru aus über den Pazifik nach Polynesien segelte. So wollte er beweisen, dass die präkolumbischen (vor Ankunft der spanischen Konquistadoren) Einwohner Südamerikas Polynesien besiedelt hatten und dazu die technischen Mittel besassen – entgegen der Lehrmeinung.

Sein Floss baute er auf Basis historischer Quellen. Eine Beschreibung oder gar ein Bauplan der indigenen Bevölkerung haben die Zeiten nicht überdauert. Dank des gleichnamigen Oscar-prämierten Dokumentarfilms wurden Heyerdahl und seine Expedition weltberühmt.

Heyerdahls streitbare Thesen wurden von der Fachwelt nie ernst genommen. Aber damit haben die drei Baselbieter ohnehin nichts am Hut, wie sie klarstellen. Ihnen geht es vor allem um technische Aspekte – und natürlich um Abenteuer, was auch beim Norweger entscheidend war. «Dazu kommt ein Schuss Experimentalarchäologe», meint Schnyder.

Im Gegensatz zu Heyerdahl planen sie ihre Überfahrt im Nordatlantik, nicht im Pazifik. Zwischen Mai und August 2025 – wenn das Wetter verhältnismässig freundlich ist – wollen sie in Norwegen in See stechen. «Leeway 25» heisst das Projekt. Der Leeweg ist das Abdriften nach Lee, also zur windabgewandten Seite, heisst auf Englisch aber auch Spiel- oder Freiraum.

Das Geheimnis der antiken Flösse

Mit einem Südsee-Floss durch das Nordmeer: Das erstaunt. Aber die Seefahrer wollen die Steuerungstechnik des präkolumbischen Flosses besser verstehen. Das sei grundsätzlich auf allen Weltmeeren möglich, erklären die drei. So möchten sie eine ausführliche Beschreibung liefern, welche Segelmanöver mit einer Guara- beziehungsweise Steckbretter-Steuerung durchgeführt werden können.

Bis heute weiss man erstaunlich wenig über das Potenzial dieser antiken Flösse. Die Guaras sollten bestimmte Segelkurse ermöglichen. Etwa, Kurse am Wind zu fahren, also gegen die Windrichtung. Oder bei ungünstigen Winden zumindest die Höhe zu halten, bis der Wind dreht.

Ausschlaggebend für die Wahl des Meeres sind für das Trio vor allem logistische Gründe. Wichtig sei zudem, dass Norwegen vertrauenswürdige Behörden und ein ähnliches Rechtssystem habe. Das könne im Notfall wichtig sein, erleichtere aber auch den Bau des Flosses.

Denn dieses muss erst noch gebaut werden. Die Baumstämme sind gekauft, Baupläne existieren. Im März 2025 soll im hohen Norden mit dem Bau angefangen werden: alles Hand- und Fleissarbeit. Die Abenteurer wollen den Bau gemeinsam mit freiwilligen Helfern durchführen.

Wie historisch exakt ist das Floss? «Es handelt sich um eine plausible Interpretation aus Quellenstudium und eigenem Experimentieren», sagt Schnyder. Im Prinzip ist es ein simples Konstrukt: Wuchtige Baumstämme bilden die Basis, auf denen Querbalken und zuoberst das Deck liegen. In der Mitte sind Mast und Segel. Am Heck ist eine kleine Hütte, die als Ess- und Schlafstätte dient. Mit den Guaras steuert man das Floss.

Unterschiede bestehen aber durchaus: So verwenden sie kein tropisches Balsa-Holz aus Südamerika, sondern Fichtenholz aus Norwegen. Segel und Seile bestehen aus zeitgenössischen Materialien. Das sei ein Entscheid aus finanziellen und Sicherheitsgründen, erklären die drei.

Die Expedition vor der Expedition

Schnyder und Nussbaumer haben bereits Erfahrung im Bauen und Steuern eines Flosses. Vor zwei Jahren durchquerten sie den Bottnischen Meerbusen zwischen Schweden und Finnland. Behrens war damals noch nicht dabei. Die Überfahrt war Resultat einer spontanen Idee – «während Corona», wie Nussbaumer sagt –, die dann aber mit viel Hartnäckigkeit und Detailversessenheit durchgeführt wurde. Ursprünglich war geplant, mit einem Floss einen See zu überqueren. «Das ist dann eskaliert und wir wollten eine Meeresüberfahrt durchführen», erzählt Nussbaumer.

Gemeinsam mit drei weiteren Mitstreitern wurde das Vorhaben umgesetzt. Das Floss war ein kleinerer Prototyp der jetzt geplanten Konstruktion. Im Sommer 2022 überquerten sie von Finnland aus den Bottnischen Meerbusen, ungefähr 110 Kilometer Weg. Dank günstigen Wind waren sie «nur» 20 Stunden unterwegs, obwohl sie mit zwei bis drei Tagen rechneten.

Im Vergleich zum jetzigen Vorhaben war «Leeway 22» eher harmlos. Der Bottnische Meerbusen ist ein Binnenmeer und milder als das Nordmeer. Trotzdem war das Ganze nicht ohne: «Die Seekrankheit schlug uns buchstäblich auf den Magen», erzählen sie. Wegen starken Windes kam zudem der Mast gefährlich ins Schwanken und drohte zu kippen. Mitten auf der Fahrt musste der Mast neu getrimmt werden. Danach segelten sie ohne Zwischenfälle und mit viel Tempo nach Finnland.

Keine steifen Normen und fixen Arbeitszeiten

Aber was treibt sie zu dieser Reise an? Und überhaupt: Ist das nicht einfach eine waghalsige Spinnerei? Es zahlreiche Beispiele für tragische Unglücke auf hoher See. Jüngst etwa der Fall des rekonstruierten Wikingerboots «Naddodur», dessen Crew hauptsächlich aus Schweizern bestand. Von den Färöer-Inseln steuerten sie Ende August Norwegen an. Bei stürmischer See kenterte das Boot, eine Person starb. Da scheint es fast nebensächlich, dass die Reise eine enorme kognitive, körperliche und psychische Anstrengung ist: Kälte, Schlafmangel, keine Privatsphäre, Motivationsprobleme.

Ja, Risiken gebe es, sagen sie. Doch Sicherheit habe erste Priorität. Das Floss sei hochseetauglich, Seenotrettungen seien in dem Gebiet möglich. Zudem absolvierten alle einen Erste-Hilfe-Kurs auf hoher See, eine Funkerausbildung sowie einen Sea-Survival-Kurs. Die Route beinhaltet zudem Zwischenstopps.

Dann erzählen sie über ihre Beweggründe – warum es ihnen wert ist, Entbehrungen zu erdulden. Wichtig sei das Naturerlebnis, sagen Behrens und Nussbaumer. Schnyder ergänzt, es gehe um Freiheit. Auf hoher See gibt es keine Arbeitszeiten und steifen Normen. Die Natur gibt den Takt vor. Freiheit ist aber eine ambivalente Sache: «Es gibt auf einem Floss mitten im Nordatlantik kein Back-up, keinen Plan B», sagt Schnyder.

«Es geht aber nicht einfach um Adrenalin», wirft Behrens ein. «Wir mögen es, zu planen und zu tüfteln. Und vielleicht mögen wir auch eine extreme Art von Abenteuer – man darf aber nicht vergessen, wie viel Planung dahintersteckt.»

Die simpelste Form eines Wassergefährts

Architekturstudent Nussbaumer erwähnt zudem den technischen Aspekt: «Das Floss ist die simpelste Form eines Wassergefährts. Und dass man damit ganze Meere überqueren kann, ist faszinierend.» Das Resultat monatelanger Planung und handwerklicher Arbeit endlich zwischen den Wellen auf- und ab gehen zu sehen.

Aber das ist noch nicht alles. Schnyder erzählt vom vergangenen Projekt: «Die ganze Crew hat an einem Strick gezogen. Alle wussten: Es geht um viel.» Die intensive Zeit habe sie «wie eine Familie» zusammengeschweisst. Vor dem Projekt waren die fünf nur Bekannte. Die Crew für die aktuelle Expedition sei so gut wie gesetzt; nun sei noch vertragliche Kleinarbeit nötig. Insgesamt soll die Crew dieses Mal sechs Personen umfassen.

Die Interessenten müssen wie die jungen Baselbieter Tüftler und Praktiker sein – und auch ein wenig verrückt. Wer Freiheit spüren will, nimmt eben Risiken in Kauf. Die drei Baselbieter sagen unisono: «Wir wollen nicht einfach studieren und uns nachher in einem Schulzimmer oder Büro abrackern. Wir wollen einmal etwas anderes tun. Etwas, das uns in Erinnerung bleibt.» Bevor man bei Petrus anklopft.

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