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Hässlich oder nicht? Debatte über Bahnhof Liestal und andere Bauten
«Cremeschnitte» und «Legobaukasten»: Gegenwärtige Architektur hat oftmals keinen einfachen Stand. Zwei Experten und ein Laie im Gespräch über vermeintlich hässliche Bauten.
Die Reaktionen auf den neuen Bahnhof in Liestal waren geharnischt: «Cremeschnitte», «Beton à la DDR», «Legobaukasten-70er-Jahre-Renditebau-Agglo-Bahnhof» sowie «Neue Trostlosigkeit» – die BaZ-Leserschaft zerriss sich in der Kommentarspalte das Maul. Und im persönlichen Gespräch traf man kaum jemanden, der den neuen Bahnhof, ja das ganze Quartier nicht als «hässlich» bezeichnete.
Dass es bei Neubauprojekten zu kontroversen Diskussionen kommt, ist keine Seltenheit. Bekannt sind etwa die Debatten rund um das Meret-Oppenheim-Hochhaus – ein Leser bezeichnete das Gebäude gar als «Führerbunker». Aber was ist an der Kritik dran? Bauen wir tatsächlich hässlich?
Die BaZ hat sich mit Lukas Gruntz und Simon Heiniger von Architektur Basel getroffen, um sich mit ihnen über vermeintlich misslungene Neubauten im Baselbiet zu unterhalten. Die beiden Architekten sind nebenberuflich Redaktoren des Onlineportals und unterhalten sich dort in einem Podcast über drängende Architekturfragen in der Region. So viel vorneweg: Die beiden Experten und der Laie sind sich häufig nicht einig.
Bahnhof Liestal

Der neueste Schrei aus der SBB-Architektur-Boutique sind der Liestaler Bahnhof und das angrenzende, ab 2017 errichtete Stadtviertel. Der BaZ-Journalist schliesst sich der vielfach gehörten negativen Meinung dazu an. Die Bauten des neuen Quartiers kommen ihm belanglos, langweilig, schmucklos vor. Es sind grauschwarze Ungetüme, eingebettet in eine Betonwüste, die nichts auslösen: Tristesse, wie man es von vielen SBB-Immobilienprojekten kennt.
Gruntz widerspricht dezidiert. «Rationalität hat immer eine Berechtigung. Sie löst nichts aus – aber das ist auch okay. Ein Bahnhof verlangt keine Filigranität. Die Robustheit der Bauten verkörpert die Dynamik und den riesigen Massstab der Infrastruktur Eisenbahn.» Die beiden kürzlich eröffneten Bahnhofsgebäude erinnern ihn an die Bauwerke von Max Vogt, der bekannt ist für sein brutalistisches Stellwerk am Zürcher Hauptbahnhof. «Diese Bildsprache wird von den SBB häufig genutzt. Sie ist roh, aber ehrlich. Sie entspricht unserer rationalisierten, industrialisierten Zeit.»
Ist ehrliche Beton-Architektur menschenfreundlich? Gruntz meint: «Ehrlichkeit ist etwas, das die meisten Menschen schätzen. Also ja.»
Unkritisch sehen die beiden den Liestaler Bahnhof allerdings nicht. Heiniger sagt, dass das Endprodukt in einem wichtigen Punkt nicht mehr dem Gewinnerprojekt aus dem Architekturwettbewerb entspreche. «Der von der Jury gelobte Verbindungsbau zwischen den beiden Hochbauten wurde zu einem einfachen Vordach zusammengespart.» Heinigers Urteil ist vernichtend: «Das wirkt nur noch provinziell.»
Punkto fehlender Begrünung und mangelnder Aufenthaltsqualität sind sich die beiden Architekten und der Laie einig. Es gibt kaum Bänke, der meiste Raum wird von den Bushaltestellen und der Strasse in Anspruch genommen. «Das ist zu wenig», meinen alle drei unisono.
Aquila Tower in Pratteln

66 Meter hoch türmt sich der grausilbrige «Adler» – lateinisch Aquila –, erbaut vom renommierten Basler Architekturbüro Christ & Gantenbein, am Prattler Bahnhof in die Höhe. Für den Journalisten handelt es sich um ein deprimierend graues Bauwerk, besonders bei schlechtem Wetter. Zwar beeindruckt ihn das Kühle des Hochhauses, mit seinen «Haifischzahn»-Fensterreihen, aber gleichzeitig wirkt es auch abstossend. Passagiere, die aus dem Zug steigen, stehen im Schatten eines abweisenden Burgturms. Das ganze Ensemble am Bahnhof ist Wildwuchs: hier wuchtige Blocks, dort Einfamilienhäuschen.
Gruntz erwidert schelmisch, besonders im Sommer sei er gern im Schatten des Wolkenkratzers gestanden. Er sagt: «Ein Hochhaus darf für sich stehen, ‹selbstbezogen› sein. Für mich ist das stimmig.» Über die Farbe könne man ewig streiten, schliesslich sei das subjektiv. Besonders interessant findet Gruntz das Fassadenblech, feuerverzinkter Stahl, «ein ultraindustrielles Material». Das sei ein interessanter Verweis auf die Verzinkerei, die fast vis-à-vis des Hochhauses stehe.
Der Aquila Tower ist 66 Meter hoch und wurde vom renommierten Büro Christ & Gantenbein errichtet.Foto: Florian Bärtschinger (Archiv)
«Dass das Ensemble und die Raumplanung nicht einheitlich sind, ist eine Folge des Schweizer Systems», meint indessen Heiniger. Die Teilhabe am Bauprozess sei grösser als etwa in Frankreich. Fraglich sei zudem in der heutigen Zeit, warum – gerade bei kleineren Bahnhöfen – immer eine Strasse gleich vor dem Gebäude durchführe. In Pratteln ist das nicht anders: «Die Einstiegskanten für die Busse befinden sich am Turm. Die Strasse hat keinen Zweck und stört nur.»
Für ihn ist klar: «Ein grosser Platz würde nur Vorteile für alle mit sich bringen. Der Nutzungsdruck scheint ausserhalb der Stadt aber noch nicht so gross, um Autos aus den Bahnhofsarealen zu verbannen.»
Strafjustizzentrum Muttenz

Das Muttenzer Strafjustizzentrum ist nur einen Katzensprung vom Bahnhof entfernt. Es vereinigt Straf- und Jugendgericht, Staatsanwaltschaft sowie ein Gefängnis unter einem Dach.
Für einmal sieht der BaZ-Journalist ein Bauwerk positiv. Denn mit seiner über die Jahre angesetzten Patina sieht das lang gezogene Gebäude aus wie ein morbides Schlachtschiff – ein Totenschiff. Der unfreundliche, abweisende Ausdruck des Bauwerks ist ja in dem Fall gar nicht so falsch. Hier wird immer wieder über Mord und Totschlag verhandelt, hier befindet sich ein Gefängnis. Die düsteren Geschichten, die im Gebäude Thema sind, scheinen nach aussen gekehrt zu sein.
Besonders poetisch im Dunst: Das Strafjustizzentrum ist eine «architektonische Umsetzung der Vernunft».Kanton Basel-Landschaft/Tom Bisig
Ähnlich expressiv argumentiert Gruntz. «Das rigide und stringente Fassadenraster des Hauses verkörpert eine architektonische Umsetzung der Vernunft. Für unsere Justiz ist das elementar. Richter dürfen sich schliesslich nicht von ihren Emotionen leiten lassen.» Er spricht von einer «rationalen Architektur im besten Sinne».
Heiniger gibt sich technisch-poetisch. Entscheidend bei langen Gebäuden sei die Ausformulierung der Fassade, sagt er: «Sie gliedert das Volumen und verleiht dem Gebäude trotz einheitlicher Materialisierung eine willkommene Detaillierung. Während das Bauwerk zu den Geleisen der SBB hin eine Abwehrhaltung einnimmt, fächert es sich zum Ort hin auf und zeigt klar auf, wo sich die unterschiedlichen Zugänge befinden.»
Tonwerk «Areal Ost» in Lausen

Wohnüberbauungen stehen seltener im Fokus hitziger Architekturdebatten. Sie stechen weniger aus der Masse als etwa ein Hochhaus. Trotzdem: Zu bemängeln gibt es auch hier einiges. Die beiden Architekten und der Journalist diskutieren über einen Wohnkomplex in der Oberbaselbieter Eisenbahngemeinde Lausen, der sich gleich beim Bahnhof befindet. Die Überbauung «Areal Ost» wurde auf dem östlichen Teil des ehemaligen Tonwerk-Geländes errichtet – sie befindet sich gegenüber dem Fabrikgebäude von 1914.
Hier zeigen sich die beiden Experten so ungnädig, dass dem Journalisten beinahe die Spucke wegbleibt. «Die Investoren haben den Bahnhof offenbar völlig ausgeblendet», schimpft Heiniger. «Das Gebäude könnte irgendwo stehen.»
Zum Bahnhofsplatz hin gebe es zwar eine öffentliche Nutzung mit Geschäften und einer Kita – allerdings sei diese architektonisch nicht ausdifferenziert. «Warum kein öffentliches Gebäude an einem Platz, an dem Leben stattfinden soll?», fragt Heiniger rhetorisch. «Stattdessen überwiegen Wohnnutzungen.»
Ebenso stören ihn die Lärmschutzwände, die die verschiedenen Gebäude miteinander verbinden. «Planerisch wollen die Gebäude für sich allein stehen. Aus Lärmschutzgründen musste man dann aber diese Wände hochziehen – wie ein Pflaster.» Der Bau wolle etwas sein, dass er nicht sein könne. «Das ist eben nicht ‹ehrlich›.»
Der Journalist stört sich indessen am Klotzigen der Gebäude: Sie harmonieren kein bisschen mit den kleinen, historisch gewachsenen Parzellen an der Hauptstrasse.
Auch Gruntz meint, der Dialog zwischen Dorfkern und Neubau und Bahnhof funktioniere nicht. «Alltagsarchitektur sollte nicht einfach für sich stehen, sondern mit dem bestehenden Dorfkern als Ensemble funktionieren.»