Meine Arbeit

In Basel wird über «Erdbeben-Drämmli» gespottet – in Darmstadt ist der Ton ernst. Dort fordert eine Bürgerinitiative ein Nachtfahrverbot und Tempolimits.
Was Marion Kleinsorge schildert, erinnert an einen bösen Spuk. Der Lärm, der entstehe, wenn sich ein Tina-Tram nähere, sei mit einem «anschwellenden Donnergrollen» vergleichbar. Sie berichtet von Schlägen, die Anwohner spürten, wenn das Tram vorbeirumple. Und vor allem von Vibrationen. Sie persönlich nimmt diese wahr, wenn sie auf dem Kopfkissen ruht. Bei anderen zittern die Teller im Schrank oder vibriert der Heizkörper.
Baslern dürften diese Schilderungen bekannt vorkommen – in der Stadt kursiert bereits der liebevoll-hämische Namen des «Erdbeben-Drämmli». Doch was hier eher eine skurrile Episode zu sein scheint, ist in Darmstadt bitterer Ernst.
Dort sind die Tina-Trams – Tina steht für «Total integrierter Niederflurantrieb» –, die in und um Basel seit September verkehren, schon seit Ende 2023 in Betrieb. Und sorgen seither für gehörig Lärm – im buchstäblichen Sinne. «Viele Anwohner sind mit den Nerven am Ende», sagt Kleinsorge. «Einige können schon seit Monaten nicht mehr richtig schlafen.»
Kleinsorge ist Teil der Bürgerinitiative «Tina – so nicht!», die mehrere Dutzend Personen aus verschiedenen Stadtteilen umfasst. Die aufgebrachten Darmstädter fordern vom Schweizer Hersteller Stadler und vom städtischen Bahnbetreiber Heag Mobilo endlich einen «geräuscharmen Betrieb», wie es in einem Schreiben heisst. Unter anderem wollen sie ein nächtliches Fahrverbot und Tempolimiten für Tina-Trams – und behalten sich rechtliche Schritte vor.
Vibrationen in Darmstadt
Das Rumpeln und Rattern des Fahrzeugs sei das eine, erzählt Kleinsorge. Belastend seien aber auch die Vibrationen, die man in den eigenen vier Wänden spüre. Sie sind nicht sehr laut – bei einem kurzen Besuch schwer festzustellen –, auf Dauer aber nervtötend. «Wenn im Haus Leben herrscht, fallen die Vibrationen weniger auf. Aber sobald es ruhiger ist, nimmt man sie deutlich wahr.» Vor der Einführung der Tina-Trams habe sie so etwas nie bemerkt.
Dennoch ist die Lärmbelastung nicht eindeutig fassbar. Ein klares «Profil» der Betroffenen zu erstellen, ist schwierig. Lange ging man etwa davon aus, dass vor allem Personen in Altbauten betroffen seien, doch das bewahrheitete sich nicht.
Dass es sich bei den Beschwerden aber keineswegs um Einbildung handelt, zeigt ein Gutachten, das Heag Mobilo im Herbst in Auftrag geben liess. Schallgrenzwerte wurden zwar keine überschritten, auch wenn diese im Vergleich zu älteren Tramtypen höher ausfielen. Dafür stellten die Gutachter «höhere Schwingungsemissionen», die für Vibrationen sorgen, fest – Limiten wurden aber auch hier nicht verletzt. Das hat jedoch damit zu tun, dass es in Deutschland kein Regelwerk gibt für Erschütterungslärm, der vom öffentlichen Verkehr ausgeht.
Schweizer Hersteller: Darum ist das Tram so laut
Ursache der Vibrationen ist, so wird vermutet, ein komplexes Zusammenspiel von Tram, Gleisen und Baukörpern. Vereinfacht gesagt übertragen sich die von der Bahn ausgehenden Schwingungen auf die Gebäude und lösen dort den sogenannten «Sekundärschall» aus. Dieser wiederum führt zu den Vibrationen und Erschütterungen in den Gebäuden, die den Anwohnern so auf die Nerven gehen.
Ganz sicher ist das aber nicht. Genauere Messungen und Abklärungen will die Heag Mobilo Ende Mai publizieren. Kleinsorge hofft, dass das Gutachten dabei hilft, das Lärm- und Erschütterungsproblem dauerhaft in den Griff zu bekommen. Massnahmen wurden zwar schon vereinzelt ergriffen. «Aber langfristig hat sich nichts gebessert. Stadler muss endlich Antworten und Lösungen liefern und die Fahrzeuge nachrüsten.»
Tina-Trams in Basel sorgen für Gespött
Auch hierzulande soll Ende Monat ein Gutachten publiziert werden. Die BLT will darin Massnahmen präsentieren, wie der Lärm reduziert werden kann. In Basel scheint sich im Vergleich zu Darmstadt die Gereiztheit in Grenzen zu halten – trotz Rumpeln und Schütteln.
Das «Erdbeben-Drämmli» war erst auf Social Media und in einschlägigen Foren, dann in der Lokalpresse ein Thema – hier wurde auch auf die Erfahrungen in Darmstadt verwiesen. Darauf folgte eine PR-Offensive der BLT: Deren CEO Fréderic Monard und Stadler-Konzernleitungsmitglied Ansgar Brockmeyer versicherten an einer Medienkonferenz im April, man werde die Mängel «systematisch eliminieren.»
Grund für den Lärm ist laut BLT und Stadler das Drehgestell des neuen Trams. Das Fahrzeug ist durchgängig niederflurig, um so eine barrierefreie Nutzung zu ermöglichen. Die Drehgestelle sind flach und kompakt, damit sie nicht in den Fahrgastraum ragen. Sie umfassen sowohl Antrieb als auch Bremsen.
Wegen dieser vielfältigen Anwendungsweise muss ein Drehgestell sehr beweglich sein, um Schienen und Weichen zu schonen. Allerdings kann genau das zu Geräuschen und Vibrationen führen, besonders wenn Weichen- und Kreuzungspunkte passiert werden.
Sorgen Drehgestelle auch in Darmstadt für Lärm?
Ob die Drehgestelle auch in Darmstadt die Quelle allen Übels sind? Stadler hält sich bedeckt und schreibt nur, die Resultate der Messungen würden Ende Mai vorgestellt. Der Bahnhersteller versichert aber, dass «Erkenntnisse aus einem Projekt in die anderen Projekte einfliessen».
Gleichzeitig mahnt das Unternehmen aus dem thurgauischen Bussnang, keine «Inbetriebnahme» sei wie die andere. «Lärmemissionen entstehen immer im Zusammenspiel zwischen der Infrastruktur, dem Betrieb und dem Fahrzeug.»
Derweil versichert die Heag Mobilo, dass sie die Reklamationen «sehr ernst» nehme – so einer der Geschäftsführer im Interview mit dem «Echo». Unter anderem führte sie Infoveranstaltungen durch, um die Gemüter zu beruhigen. Dennoch hätten die Anwohner den Eindruck, «immer wieder vertröstet zu werden», sagt Kleinsorge. Nach zwei Jahren Reklamationen habe sich immer noch nichts getan.
Dass die Bahnbetreiberin nervös wird beim Thema Tina-Tram, überrascht nicht. Für die Heag Mobilo ist es mit rund 100 Millionen Euro die teuerste Akquise ihrer Geschichte – und eine entscheidende Modernisierung der Fahrzeugflotte.
Ein Meilenstein für die Heag Mobilo, ein Ärgernis für Anwohner wie Marion Kleinsorge: «Ich könnte meine Zeit besser nutzen als mit Strassenbahnen», seufzt sie.