Meine Arbeit

Eine kleine Auswahl meiner Texte aus bz und BaZ. Bis jetzt hatte ich es mit verrückten Seebären, einem ungarischen Geschichtsverdreher, veganen Studenten sowie lärmig-rumpelnden Trams zu tun - Aufzählung unvollständig.
Ungarische Nationalromantik: Der Geist des Hunnenkönigs spukt in Zunzgen

Ungarische Nationalromantik: Der Geist des Hunnenkönigs spukt in Zunzgen

Samstag, August 3, 2024 Attila Ungarn bz Basel

Eine illustre Truppe kreuzte Ende Juni in Zunzgen auf: Die ungarische Botschafterin in der Mongolei, ein mongolisches Filmteam sowie ein schweizerisch-ungarischer Co-Autor. Dabei reproduzieren sie ein streitbares Geschichtsbild.

Attila, der legendäre Hunnenkönig, ist schon seit Jahrtausenden tot und doch noch sehr lebendig. Ende Juni besuchte ein mongolisches Dokufilmteam gemeinsam mit der ungarischen Botschafterin in der Mongolei, Borbála Obrusánszky, den Büchel in Zunzgen – der Legende nach das Grab des furchterregenden Anführers der Hunnen. Die Botschafterin und die Filmer verfolgen die Spuren der Hunnen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und im Elsass.

«Ich war überrascht, als mich das Filmteam kontaktierte», sagt der Zunzger Gemeindepräsident Hansruedi Wüthrich. «Doch als sie dann da standen, wusste ich: Das ist kein Scherz.» Allerdings mit einer halbstündigen Verspätung. Das mongolisch-ungarische Team hatte Zunzgen mit Zuzgen im Kanton Aargau verwechselt und war erst ins Fricktal gefahren.

An die zwei Stunden hätten die Dreharbeiten gedauert, erzählt Wüthrich. Die Filmer hätten den Büchel gefilmt und auch ihn als Gemeindepräsidenten interviewt. Es sei um die Sage gegangen, aber auch um Zunzgen im Allgemeinen.

Das angebliche Grab Attilas

Für Nicht-Zunzger: Der Büchel ist ein Hügel am Rande der Oberbaselbieter Gemeinde. Manche kennen ihn vielleicht von der Durchfahrt auf der A2. Doch es handelt sich der Sage nach nicht um einen gewöhnlichen Hügel, sondern um Attilas Grab. 453 soll er mit seinem Reiterheer Augusta Raurica geplündert und zerstört haben und dann weitergezogen sein.

Allerdings kam er nur bis Zunzgen: Dort soll er unvermittelt verstorben sein und seine letzte Ruhestätte gefunden haben – in einem goldenen Sarg. Über seinem Grab soll ein Hügel aufgeschüttet worden sein, der heutige Büchel.

Inzwischen ist archäologisch belegt: Es handelt sich beim Büchel nicht um einen Grabhügel, sondern um einen künstlichen Hügel, auf dem eine mittelalterliche Burganlage errichtet worden war. Diese entstand wohl um das Jahr 1000 – Jahrhunderte nach dem Ableben des legendären Hunnenkönigs.

Die Rehabilitation Attilas

Warum interessieren sich Mongolen und Ungarn so brennend für Attila? Beide Nationen nehmen für sich in Anspruch, Nachfahren der Hunnen zu sein. Inwiefern dies umstritten ist, dazu kommen wir gleich.

Botschafterin Obrusánszky ist nicht nur in einen Dokufilm involviert, sondern schreibt gleichzeitig ein Buch zu Attila. Co-Autor ist der Schweizungare Michel Bakocs, der in Zürich lebt und Präsident des «Schweizer Ungarischen Traditionellen Pfeilbogen Vereins» ist. Der Verein widmet sich der ungarischen Tradition des Bogenschiessens und ist offiziell von der ungarischen Botschaft anerkannt.

Die Botschafterin und ihr Co-Autor wussten, dass der Büchel nicht das Grab Attilas ist. «Es gibt über 100 Orte in Europa, in denen der Legende nach Attilas Ruhestätte sein soll», erklärt Bakocs. «Das zeigt gut den ‹Mythos› Attila auf: Häufig verweist man mit Stolz auf das angebliche Grab.» Diese Facette Attilas zu zeigen, sei Idee des Besuchs gewesen.

Grundsätzlich gehe es bei dem Buch um die Geschichte der Hunnen in Westeuropa. Dabei werde auch eine Art Rehabilitation Attilas angestrebt. «Neue Forschung zeigt, dass Attila nicht dem Bild des Gewaltherrschers entsprochen hat, als den man sich ihn vorstellt», erzählt Bakocs. Tatsächlich übertreiben antike Quellen häufig – ob Attila wirklich die «Geisel Gottes» war, ist aus heutiger Sicht fraglich.

Das aktuelle Buchprojekt sei Teil einer zweibändigen Reihe, sagt Bakocs – ein Band davon befasse sich mit den Spuren der Hunnen in Asien, der andere mit jenen in Westeuropa. Obrusánszky ist nicht nur Botschafterin, sondern auch Historikerin und Mongolistin. Sie treibt – nicht von Amts wegen, sondern aus privatem Interesse – das Projekt voran. Bakocs, der sich ebenfalls nicht beruflich, sondern privat der ungarischen Geschichte widmet, hilft beim Band über die Hinterlassenschaften in Westeuropa mit.

Nationalromantik und Wissenschaft im Widerstreit

Ob Hunnen und heutige Ungarn miteinander verwandt sind, ist unklar. Die Mehrheit der heutigen Forschung geht von der finno-ugrischen These aus, basierend auf Sprachforschungen. Es gibt eine entfernte Verwandtschaft zwischen Finnisch, Estnisch und Ungarisch. Man nimmt an, dass die Vorfahren der Finnen, Esten und Ungarn östlich des Uralgebirges in Sibirien gesiedelt haben und miteinander verwandt waren.

Mit Zwischenstationen machten sich dann die Magyaren – also die Vorfahren der heutigen Ungarn – vom Ural auf ins heutige Ungarn, bis zur legendären «Landnahme» im Jahr 896. Eine direkte Verwandtschaft der Magyaren mit den Hunnen wird kritisch gesehen oder gar ausgeschlossen.

Bakocs zieht diese These in Zweifel. Sie sei in der Habsburgerzeit entstanden – also im 19. Jahrhundert, als Österreich und Ungarn eine Doppelmonarchie bildeten, die von den Habsburgern regiert wurde. Die These sei aus politischen Gründen in die Welt gesetzt worden, um den Ungarn die Eigenständigkeit abzusprechen und diese besser ins Habsburger-Imperium einbetten zu können.

Für ihn ist klar: «Es gibt eine Verwandtschaft der heutigen Ungarn mit den Hunnen.» Er meint gar, neuere Forschung belege – etwa archäogenetische Untersuchungen – , dass die finno-ugrische These auf «wackligen Beinen» stehe. Klar ist: Es gibt genetische Verbindungen zwischen Hunnen und Magyaren – ob das aber gleichgesetzt werden kann mit einer kulturellen Identität?

Die Sache mit Trianon

Das ist eine Haltung, die gleichzeitig sehr alt und sehr aktuell ist. Schon die mittelalterliche Geschichtsschreibung Ungarns sah die Kontinuität der Hunnen zu den Ungarn. Erst die finno-ugrische These, die im 18. und 19. Jahrhundert aufkam, stellte diese infrage. In nationalistischen Kreisen hingegen ist diese Position nach wie vor salonfähig und geniesst im heutigen Orbán-Ungarn eine gewisse Popularität.

Dazu muss man wissen: Attila ist für die ungarische Identität eine wichtige Figur. Besonders in der Literatur des 19. Jahrhunderts wurde er immer wieder zum Helden stilisiert – ein bisschen wie Wilhelm Tell in der Schweiz.

Bakocs selbst vertritt Positionen, die in Ungarn verbreitet sind, aber im übrigen Europa als revisionistisch angesehen werden. In einem Facebook-Post protestiert er gegen die Verträge von Trianon und fordert die Wiederherstellung der alten Grenzen Ungarns. Die Verträge von Trianon musste Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg mit den Siegermächten schliessen.

Das Land verlor dabei zwei Drittel seines Territoriums – bis heute ein nationales Trauma, das von Orbán instrumentalisiert wird. Allerdings wurden diese Territorien überwiegend von anderen Völkern wie den Kroaten, Rumänen oder Slowaken besiedelt. Eine Ausnahme stellt das hauptsächlich ungarische Siebenbürgen dar, das heute zu Rumänien gehört. Die Minderheiten litten unter einer strengen «Magyarisierungspolitik», die deren Assimilation zum Ziel hatte.

Selbst wenn im Büchel kein Hunnenkönig liegt, so zeigt die Geschichte doch deutlich: Attila ist noch sehr lebendig. Schnell wird er zum Objekt der Geschichtsschreibung und zum Objekt nationaler Grösse – die bis nach Zunzgen reichen kann. Aber nicht immer spielt die Wissenschaft mit.

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