Meine Arbeit

Vorwurf der «Stasi-Methoden» nach dem Bewerbungsgespräch
Gerät man mit der kantonalen Verwaltung in Konflikt, hilft die Baselbieter Ombudsstelle, eine Lösung zu finden. Auch bei schwierigen Fällen.
Herr Schulze ist wütend. So wütend, dass er den Behörden «Stasi-Methoden» vorwirft und mit dem Gang an die Medien droht. Der Deutsche war als Mechaniker beim Kanton angestellt, aber noch während der Probezeit wurde ihm gekündigt.
Es ist aber nicht die Kündigung, die ihm keine Ruhe lässt, sondern der Bewerbungsprozess. Er ist der Grund, warum er sich später an die Ombudsstelle wenden wird – jene Dienststelle im Kanton, die Konflikte zwischen Bürger und Verwaltung schlichten soll und Auslöser einer hitzigen Debatte im Landrat war. Schulzes Fall ist im Jahresbericht 2023 nachzulesen.
Nach zwei Gesprächen hat Herr Schulze die Stelle schon auf sicher. Danach wird er aber für ein drittes Treffen aufgeboten. Es geht um seine Social-Media-Posts. Unter anderem hat er ein «satirisch-kritisches» Bild – so heisst es im Bericht – mit einer Hygienemaske mit der Aufschrift «1984» gepostet. Er hat also die Restriktionen der Coronapandemie mit der Dystopie George Orwells gleichgesetzt, in der ein totalitärer Staat alles und jeden kontrolliert.
Ebenso hat er Posts zur US-Politik und zu Putin hochgeladen. Posts, die ihm Fragen seiner künftigen Vorgesetzten einbringen, wie: «Was halten Sie vom Krieg in der Ukraine? Sind Sie gegen Covid geimpft?» Und schliesslich: «Sind Sie ein Staatsfeind?»
Warum Herrn Schulze gekündigt wurde, wird im Bericht nicht explizit erwähnt – vermutlich ist das Verhältnis nach dem dritten Treffen angespannt.
Fragen der Verwaltung nicht zulässig
Der Frust Schulzes hält nach der Kündigung an – er kontaktiert die Ombudsstelle. Dort arbeiten Beatrice Bowald und Vera Feldges, die beiden Ombudsfrauen. Sowohl Bürger als auch Kantonsangestellte können sich bei Streitigkeiten mit der Verwaltung an sie wenden. Sie sind vom Parlament gewählt und von den Behörden unabhängig – ähnlich wie die Gerichte.
«Wir beraten, vermitteln und versuchen, zwischen den Parteien eine gütliche Lösung zu finden», erklären die beiden Frauen beim Treffen mit der BaZ in ihrem Büro in Liestal. Das Angebot ist kostenlos und vertraulich. Sie stellen die Fragen: Haben die Behörden im Fall Schulze zweckmässig, bürgerfreundlich und auch juristisch korrekt gehandelt? Ist es rechtens, in einem Bewerbungsgespräch Fragen zur Weltanschauung und zur Covid-Impfung zu stellen?
Die Ombudsstelle kommt zum Schluss: ist es nicht. Der Staat sei zur Neutralität verpflichtet, Fragen zu Weltanschauungsthemen im Bewerbungsgespräch seien grundsätzlich nicht zulässig. Anders sieht es bei Stellen aus, in denen der Kanton repräsentiert wird.
Es gibt keine Sanktion für die Verantwortlichen. Mehr als sensibilisieren können die Ombudsfrauen hier nicht. Dennoch können sie Druck aus dem Kessel nehmen. Sie versichern dem immer noch aufgebrachten Herrn Schulze, dass die Personalabteilung des Kantons informiert sei und diese die Vorgesetzten künftig in diese Richtung schulen werde.
Im Gespräch mit Schulze stellt sich zudem heraus, dass dieser Vorfahren hat, die vom Naziregime wegen ihrer politischen Einstellung inhaftiert wurden und auch, dass er in der DDR aufgewachsen ist. Die Episode mit der Baselbieter Verwaltung hat ihn an dunkle Zeiten erinnert.
Nach dieser «Chropfleerete» hat sich Herr Schulze beruhigt.
Fälle in Ombudsstelle nehmen stark zu
Die Ombudsstelle, das Sorgentelefon des aufgebrachten Bürgers? «In rechtlich aussichtslosen Situationen hilft es den Leuten nur schon, wenn ihnen jemand zuhört», sagt Feldges. Es geht jedoch um mehr als Psychohygiene. «Die Beschwerdeführer fühlen sich ungerecht behandelt. Sie wollen zu ihrem Recht kommen. Bei uns finden sie Gehör», sagt Bowald.
Zu ihrem Recht kommen – das wollen immer mehr Menschen. Die Fälle steigen, im Vergleich von 2022 zu 2023 waren es 17 Prozent mehr (von 275 auf 323 Fälle). 2024 waren es 393 Fälle, also 22 Prozent mehr, wie die beiden Ombudsfrauen sagen. Die offizielle Statistik wurde noch nicht publiziert. Die Themen sind vielfältig: Personalfragen, Sozialhilfe, Migrationsregeln, schulische Konflikte.
Die meisten Fälle betreffen die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) sowie die Sicherheitsdirektion (SID). Aber auch in der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) und in der Gemeindeverwaltung gab es zahlreiche. Rund 8 Prozent aller Vorkommnisse 2023 waren Beschwerden, die gutgeheissen oder teilweise gutgeheissen wurden. In 1,6 Prozent aller Fälle war gar eine «generelle Korrektur des Verwaltungshandelns» nötig.
Gründe für die steigende Tendenz könnten die Krisen der vergangenen Jahre – Corona, Krieg in der Ukraine, Inflation etc. – sein, die zu Stress und Unrast führen. «Die Leute melden sich daher eher bei der Ombudsstelle», sagt Bowald. Vielfach gehe es ja ums Eingemachte – etwa bei Einstelltagen durch die Arbeitslosenkasse, also wenn zur Strafe Taggelder gekürzt würden, sagt Bowald.
Ein anderer Grund für die steigenden Fälle ist profan: Die Ombudsstelle ist bekannter geworden. Auf Betreiben der Politik wurde das Angebot an Schulen vorgestellt. Das Ziel: Bevor es zu einem kostspieligen und nervenaufreibenden Rechtsstreit kommt, sollen sich die Konfliktparteien an die Ombudsstelle wenden. «Wir sollen zum Rechtsfrieden beitragen», sagt Bowald.
Mehr Rechtsbewusstsein und «kurze Zündschnur»
Ebenso gilt: «Die Leute haben ein stärkeres Bewusstsein für ihre Rechte», sagen Bowald und Feldges, «Autoritäten werden eher hinterfragt.» Es sind so viele Fälle, dass man bei der Ombudsstelle (noch mehr) triagieren muss. Und trotzdem: Sich nicht ohne weiteres den Autoritäten zu beugen, sei «eine gesunde Entwicklung», finden die beiden Ombudsfrauen.
Die unerfreuliche Seite dieser Entwicklung: Menschen mit «kurzer Zündschnur», wie es Feldges formuliert. Das kann sich eher harmlos äussern, etwa wenn Beschwerdeführer besonders fordernd auftreten.
Hin und wieder kippt es aber auch ins Extreme: Menschen mit «querulatorischer Struktur», so drückt sich Feldges aus. Gemeint ist: Wutbürger melden sich ebenfalls bei der Ombudsstelle. «Diese Leute leben vom Konflikt mit den Behörden. Da können auch wir meistens nicht mehr viel ausrichten.»
Landrat debattierte wegen Verwaltungskonflikten
Die grosse Fallzahl führt zu einer hohen Arbeitslast – und zur politischen Debatte. «Seit wir 2020 angefangen haben, haben die Fälle um 60 Prozent zugenommen», erzählt Feldges. Neben Bowald und Feldges sind eine juristische Mitarbeiterin und eine Person im Sekretariat angestellt. Aufgrund der Arbeitsbelastung beantragten die Ombudsfrauen 2024 beim Regierungsrat eine Aufstockung von 210 auf 330 Stellenprozent, wobei auch eine volle Volontariatsstelle vorgesehen gewesen wäre – eine Budgeterhöhung um 95’000 Franken.
Das ist in Zeiten des Spardrucks kein einfaches Unterfangen. Die im Verhältnis zum restlichen Kantonsbudget geringe Summe führte in der Budgetdebatte im Landrat zu einem «kleinlichen Streit», wie es die «bz» nannte. Die bürgerliche Ratsseite kritisierte die Zahl an gestiegenen Personalfällen, die rund ein Viertel ausmachen. Sprich: verwaltungsinterne Konflikte.
Bei vielen Personalfällen handle es sich um gewöhnliche Führungsaufgaben, die Vorgesetzte oder das HR übernehmen könnten, so die Kritiker. Die «ausschweifenden Tätigkeiten» der Ombudsstelle müssten eingedämmt werden. SVP-Präsident Peter Riebli sprach gar von «aktiver Akquise», die die Ombudsstelle in Gemeinden und Schulen betreibe. SVP und FDP beantragten einen Abbau von 30 Stellenprozent bei der Schlichtungsstelle.
«In anderen Kantonen und Orten nehmen die Personalfälle einen grösseren Anteil ein», so die Ombudsfrauen. In der Stadt Zürich seien es beispielsweise 41 Prozent. Personalkonflikte seien oft komplex, trotzdem finde man häufig eine Lösung. «Das ist viel billiger als ein teurer Rechtsstreit.» Ausserdem vertrete eine HR-Abteilung oder ein Vorgesetzter tendenziell die Interessen der Verwaltung.
Zum Vorwurf der «aktiven Akquise» antworten sie: «Die Schulleitungen zu informieren, war ein politischer Entscheid.» Sie hätten den Eindruck gehabt, einigen Landräten sei dies nicht mehr präsent gewesen.
Das Parlament fand einen Kompromiss: Das Budget der Ombudsstelle wurde um 52’000 Franken aufgebessert. Ihre beiden 50-Prozent-Pensen – das Jobsharing war übrigens auch ein politischer Entscheid – wurden um jeweils 10 Prozent aufgestockt. «Wie sich das mit der Arbeitslast einpendeln wird, ist zurzeit noch offen», sagen beide.